Zwei Sätze. Eine E-Mail. Zwei Worte: „Märchenerzählerin“ und „dummes Zeug“. Dafür sitzt ein Bauingenieur aus Niedersachsen jetzt im Gefängnis. Parallel wird ein Rentner zur Kasse gebeten, weil er Annalena Baerbock in einer satirischen Botschaft auf die Schippe nahm.
Was ist los in Deutschland? Offenbar haben Politik und Justiz eine Grundlektion der Demokratie völlig vergessen: Dass Kritik und Satire das Fundament der Demokratie sind. Dass Menschen für Witze über Politiker ins Gefängnis kommen, galt früher als ein Markenzeichen von Diktaturen. Doch offenbar will ihnen das selbsternannte „beste Deutschland aller Zeiten“ Konkurrenz machen.
Darf ein Bauingenieur, der Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig per E-Mail kritisiert, als „Märchenerzählerin“ bezeichnet und ihr „dummes Zeug“ vorwirft, in einem demokratischen Rechtsstaat wirklich für 30 Tage hinter Gitter gesteckt werden? Selbst wenn es sich hier um Ersatzhaft handelt, weil der Verurteilte die Geldstrafe nicht zahlen wollte, bleibt die Absurdität der Situation bestehen. Und wie steht es um einen Rentner, der Baerbock über das Kontaktformular des Auswärtigen Amts satirisch kommentiert?
Das Verbrechen des Ruheständlers: Er hat es sich erlaubt hat, Außenministerin Annalena Baerbock von den Grünen in seiner Nachricht an ihr Ministerium wie folgt zu kritisieren:
„Fast die ganze Nation stellt sich fieberhaft die Frage: Wann überwindet der/die Baerbock seine/ihre Pubertät, wann wird der/die Baerbock endlich erwachsen?“, schrieb der Rentner in einer Nachricht, die ein Internet-Portal veröffentlichte. Unsere weisungsgebundene Justiz drehte ihm daraus nun einen Strick – er muss eine Geldstrafe von 800 Euro bezahlen.
Immer öfter fühlen sich unsere Politiker beleidigt. Das Ego scheint immer größer zu werden – von außen betrachtet zumindest. Denn wenn jemand allzu dünnhäutig auf Beleidigungen reagiert, liegt der Verdacht nahe, dass sein Selbstwertgefühl nicht das stabilste ist. Oder auch Narzissmus im Spiel sein könnte.
Denn bei unserer alten Politikergeneration stand noch fest: Meinungsfreiheit geht im Zweifelsfall vor. „Was stört es den Kirchturm, wenn sich der Hahn auf ihm dreht?“, sagte Helmut Kohl einmal sinngemäß, als er mit deftiger Kritik konfrontiert wurde. Dieser Vergleich zeigt: Ein starker Politiker bleibt standhaft, auch wenn es stürmt.
Wer an vorderster Front Politik betreibt, muss sich bewusst sein, dass da verbal scharf geschossen wird. Niemand zwingt einen ja auf solche Posten.
Und heute? Man hat den Eindruck, wir werden von Mimosen statt von Staatsmännern regiert. Die Folge ist dramatisch: Wir sind wirklich an dem gefährlichen Punkt, an dem der Staat entscheidet, was Satire darf – und was nicht. Damit sind wir auf einer Stufe mit Staaten, die im Demokratie- und Freiheits-Rating regelmäßig angeprangert werden.
Unsere Justiz hält dagegen, solche Äußerungen wie diejenigen, um die es hier geht, seien ehrverletzend. Früher hätte man dazu gesagt: Was stört es den Mond, wenn ihn der Hund anbellt. Wer „Märchenerzählerin“ und „dummes Zeug“ für so “ehrverletzend“ hält, dass er der Staatsanwalt einschaltet, hat in meinen Augen als Politiker schlicht den Beruf verfehlt.
Man hat den Eindruck, der Narzissmus ist heute eine der dominierenden Charaktereigenschaften in unserer politischen Klasse. Persönliche Eitelkeiten gegen vor. Denn man muss ja bedenken: Die Verfolgung solcher Nichtigkeiten, zu denen sich ein Helmut Kohl, ein Franz Josef Strauß oder ein Helmut Schmidt nie herabgelassen hätten, kostet Zeit und Geld – und zerstört das Vertrauen in die Demokratie.
Das größere Bild
Nach Recherchen des Bundeskriminalamts gab es allein im Jahr 2023 über 2.700 Verfahren wegen vermeintlicher Beleidigungen gegen Politiker. Ein Anstieg von über 30 Prozent im Vergleich zu den Vorjahren. Besonders oft betroffen: prominente Politiker der Grünen. Man muss sich klar machen, was dahinter steckt, um die Gefahr dieser Entwicklung zu verstehen: Unseren Politikern geht es darum, nicht mehr kritisiert zu werden. Zumindest nicht mehr scharf. Doch ohne Kritik keine Demokratie. Wer Kritik und Satire unterdrückt, zerstört die Freiheit.
Wo bleibt das Lachen, wenn Satire der „falschen Seite“ plötzlich gefährlich wird? Es ist gruselig und ein Armutszeugnis, wenn Politiker, die über ein immenses Machtinstrumentarium verfügen, Bürger für Worte bestrafen und ihnen die Polizei auf den Hals hetzen. Wohlgemerkt: Wir reden hier nicht über Aufrufe zur Gewalt, die nicht zu tolerieren sind. Sondern über deftige Kritik, über die frühere Politikergenerationen im Zweifelsfall selbst noch mitlachen konnten. Beispiel: „Aufgedunsene Dampfnudel“. Für die Beschreibung einer Politikerin wurde gerade erst Tim Kellner in höchster Instanz verurteilt.
Ich muss mich jetzt zusammenreißen, um hier keine Aussage und kein Wortspiel zu verwenden, dass mich selbst ins Visier unserer leider immer politischer agierenden Justiz bringen.
Deutschland ist auf dem Weg zu einem Land, in dem Worte nicht nur Macht haben, sondern auch Gefängnistüren öffnen können. Ich hätte nie gedacht, dass es noch einmal so weit kommen könnte.
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